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Hinter Gittern: Auf der Suche nach neuen Formen für den Gottesdienst

In vielerlei Hinsicht erweist sich die Justizvollzugsanstalt als Spiegelbild für die Zustände der Gesellschaft um sie herum. Genauso in religiöser Hinsicht: Der Besuch der Gottesdienste nimmt tendenziell ab. So wie in den Kirchengemeinden draußen gibt es einen Kreis hoch motivierter und engagierter Menschen. Aber es gelingt immer seltener, Menschen außerhalb dieser „Kerngemeinde“ in Kontakt mit Glauben und Religion zu bringen.


Einzelmeditation und Feier in Gemeinschaft

Zum dritten Mal fand deshalb in der JVA Kassel 2 (Sozialtherapeutische Anstalt) ein sogenannter „Interreligiöser Gottesdienst“ statt. Diesmal waren 18 Inhaftierte dabei, davon gehen die Meisten nicht zu den „normalen“ Anstaltsgottesdiensten. Die Aula der SothA war dazu mit verschiedenen Stationen eingerichtet, an denen Gebetszettel und Texte aus den Schriften der drei großen Buchreligionen auslagen. Eine große Festtafel bildete die Mitte des Raumes. Bei diesem Gottesdienst fehlt es komplett an klassischer Liturgie, es gibt weder Gesänge, vorgetragene Lesungen und Gebete noch eine Ansprache.


Ein Ticket als religiöses Zeichen

Stattdessen beginnt es im Vorraum der Aula mit der Ausgabe eines „Tickets“ an jeden Teilnehmer. Darauf steht ein Wort des Heiligen Franziskus von Assisi: „Der Friede, den du suchst, ist nicht an einem Ort, er ist in deinem Herzen.“ Die Türen der Aula werden geöffnet, die Teilnehmer treten ein, sehen sich um, gehen zu den einzelnen Stationen, nehmen sich ein Schriftwort, schreiben ein kurzes Gebet auf einen Zettel, setzen sich auf einen der Stühle, die locker verteilt im ganzen Raum stehen. Wer mag, nutzt diese Zeit für sich, in der Besinnung auf die je eigene Religiösität und Tradition, letztlich mit dem Gedanken an die Realität Gottes im ganz persönlichen Leben.


Freie Zeit unterbricht den Haftalltag

Somit ist dieser Gottesdienst ein Angebot zur freien Verfügung, ohne irgendeine Erwartung oder gar Verpflichtung. Nach 45 Minuten nehmen die Teilnehmer auf ein Zeichen hin ihre Stühle und rücken sie an die große Tafel in der Mitte und nehmen Platz. Getränke und Speisen werden aufgetragen. Die Akzente dieses Gottesdienstes sind „Bitten“, „Danken“, „Hören“ und jetzt – „Feiern“. Gerade im Gefängnis ist das gemeinsame Essen in größerer Runde etwas Herausragendes. Etwas von der Ruhe und Gelassenheit der vorangegangenen mediativen Phase hält sich auch während des Essens. Alle machten so eine Erfahrung, die sich in vielem von ihrem Gefängnisalltag unterscheidet.


Möglicherweise etwas für „draußen“

Dieser Gottesdienst so völlig ohne jede klassische Liturgie ist ein Experiment, welches sich auch außerhalb der Anstaltsmauern zu wagen lohnen würde (Dietrich Fröba, Diakon, im April 2025).


Katholische Seelsorge an den Justizvollzugsanstalten Kassel

Von Anfang an gilt die Aufmerksamkeit und Sorge der christlichen Gemeinden dem Vorbild Jesu entsprechend auch den Menschen, die im Gefängnis sitzen.

Bei allem Erschrecken über die Brutalität vieler durch die Medien bekanntgewordener Straftaten und über der Trauer mit und um die Opfer dürfen Christen auch die Menschen nicht vergessen, die sich schuldig gemacht haben.

Diese brauchen Beistand, um mit ihrer Schuld zurechtzukommen, und um ihr Leben neu zu ordnen. Viele sitzen auch wegen "kleiner" Dinge, wie illegalem Aufenthalt, oder weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können. Oft ist aber die Lebenssituation der Menschen so blockiert und in Abhängigkeiten verstrickt, daß ein Neuanfang - gerade unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen - kaum möglich erscheint.

In diesem schwierigen Umfeld haben Seelsorgerinnen und Seelsorger, ebenso wie die ehrenamtlich in der Staffälligenhilfe tätigen Menschen, die Aufgabe, in ihrem Glauben und ihrer Hoffnung auszuhalten und zugleich zu einem sichtbaren Zeichen für diese von Gott geschenkte Hoffnung zu werden.

Arbeitsfelder der Gefängnisseelsorge

  • Einzelgespräche mit Inhaftierten, seelsorgliche Begleitung, Gespräche mit Angehörigen, Kontakte mit der Familie ermöglichen, soweit dies im Rahmen der Anstaltsordnung zulässig ist.
  • Betreuung von Gruppen und Gesprächskreisen innerhalb der Anstalt, z.B. Gottesdienst-Musikgruppe, Bibelgesprächskreis.
  • Die regelmäßige Feier des Gottesdienstes am Sonntag sowie Andachten und Gebetskreise unter der Woche.
  • Informationsveranstaltungen für Kirchengemeinden oder andere interessierte Gruppen durchführen.
  • Zusammenarbeit mit freiwilligen Helferinnen und Helfern sowie den übrigen Fachdiensten im Justizvollzug, wie z.B. Drogenberatung, psychologischer und sozialer Dienst.

Kontakt

Diakon Dietrich Fröba (JVA Kassel 1 und 2), ·Pfr. Thomas Seifert (JVA Kassel 1 und Gottesdienste in der JVA Kassel 2 - Sozialtherapeutische Anstalt), Telefon: 0561-9286-347 E-Mail an die Anstaltsseelsorge JVA Kassel 1 und 2 

Zwei Ausstellungen aus den Jahren 2010 und 2018 geben Einblicke in die Welt hinter Gittern. Bitte wählen Sie, wohin Sie gehen möchten:

Ausstellung "Macht die Tür auf!" 2018
Ausstellung "In gesiebter Luft" 2010